Was wäre wenn: Mit Avataren in der digitalen Welt den realen Ernstfall trainieren
Niemand malt gerne den Teufel an die Wand. Trotzdem sollte man sich – gerade in einem Krankenhaus der Maximalversorgung – auf mögliche Krisen und Großereignisse vorbereiten. Katastrophenfälle mit zahlreichen Verletzten zu üben sei aufwendig. Das Klinikum Nürnberg entwickele laut Meldung der Paracelsus Medizinische Privatuniversität gemeinsam mit dem Institut für Rettungswesen, Notfall- und Katastrophenmanagement (IREM) sowie weiteren Partnern eine digitale Lösung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Der größte Vorteil des „D2 PuLs“-Projekts: Es bringe alle Einsatzkräfte entlang der Rettungs- und Versorgungskette schnittstellenübergreifend zusammen, vom Ersthelfer über den Notarzt bis in den Schockraum.
Es sieht aus wie ein Computerspiel. Auf dem Tablet erscheint ein Weihnachtsmarkt, auf dem sich ein Spieler – im wahren Leben ein Rettungssanitäter – hin- und her bewegt. Es hat eine Gasexplosion gegeben, Verletzte liegen verteilt auf dem Boden. Der Spieler nähert sich einem dieser Avatare in dem Katastrophen-Szenario. Er klickt den Avatar an, begutachtet die Schwere der Verletzungen, checkt die angezeigten Vitalwerte und beginnt mit der ersten Hilfe. Die Person muss dafür ausgezogen werden, Blutdruck wird gemessen, ein Verband angelegt. Zeitgleich sind mitspielende Kolleginnen und Kollegen in dem Szenario unterwegs, die sich um die anderen verletzten Avatare kümmern. Das System denkt mit: Entsprechend der laufenden Uhr verändert sich der Zustand der Avata-re – wie im wahren Leben. Anschließend werden Verletzten nach der Erstversorgung ins Krankenhaus gebracht, wo sie entsprechend ihrer Befunde weiterbehandelt werden.
Anfragen aus ganz Deutschland
„Wir freuen uns sehr, dass wir als klinischer Verbundpartner seit März 2021 in dieses spannende Projekt eingebunden sind“, erklärt Dr. Steffen Popp, Oberarzt und Leiter der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Nürnberg Campus Süd. Und sein Kollege Oberarzt Dr. Thomas Reuter ergänzt: „Das ist wirklich absolut neu und einzigartig, und wir erhalten Anfragen aus ganz Deutschland – von Feuerwehren und diversen Rettungsdiensten.“ „D2 PuLs“ – das steht für digitale dynamische Patienten- und Lagesimulation. In dem Projekt arbeiten neben dem Klinikum Nürnberg federführend das IREM, das Malteser Bildungs-zentrum HRS sowie die Technologie-Partner nVista technologies und XVR Simulation an einer innovativen Lösung zur schnittstellenübergreifenden und standortunabhängigen Übung von Ernstfällen. Projektträger ist die VDI Technologiezentrum GmbH, gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Überschaubarer Aufwand, nah an der Realität
„Ziel dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekts ist es, mit Hilfe einer digitalen Simulationsumgebung einen praxisnahen Ansatz für die sektorenübergreifende Aus- und Weiterbildung von Einsatz- und Führungskräften des Gesundheits- und Katastrophenschutzes zu entwickeln“, erläutert Prof. Dr. Christian Bauer, der als stellvertretender Leiter des IREM-Instituts das Projekt vor allem aus der wissenschaftlichen Perspektive betrachtet. Mit dem „D2 PuLs“-System soll der Umgang mit ganz unterschiedlichen Lagen bei einem Massenanfall von Notfallpatientinnen und -patienten trainiert werden. Das System wird aus mehreren miteinander verknüpften Hard- und Softwarekomponenten bestehen – Tablets, Laptops und zu einem späteren Zeitpunkt auch Virtual-Reality-Brillen.
„Die Vorteile zu bisherigen, sozusagen analogen Übungsmethoden liegen auf der Hand“, erklärt Tim Loose von IREM, der auch aus seiner Arbeit als Notfallsanitäter beim Malteser Rettungsdienst Nürnberg weiß, worauf es in der Praxis ankommt. „Der organisatorische Aufwand für eine Übung per digitaler Simulation ist deutlich geringer. Wochenlange Vorbereitungen fallen weg. Wir brauchen keine große Anzahl an Statisten, die wir briefen müssen. Wir können alle Beteiligten einbinden, die realen Bedingungen wie Räumlichkeiten, vorhandenes Material oder Entfernungen abbilden – und das quasi zu jeder Zeit und standortunabhängig. Auch hören wir nicht bei der Erstversorgung am inszenierten Unfallort auf, sondern binden die Versorgung im Krankenhaus mit ein. Und vor allem: Das System ist unerbittlich. Es rechnet mit, wie viel Zeit vergeht und verändert dementsprechend die Gegebenheiten. Das ist bei einer analogen Übung nicht der Fall.“
Prototyp im ersten Praxistest auf der Intensivstation im Klinikum Nürnberg
Jetzt hat sich das Projektteam zu einer ersten klinischen Erprobung im Klinikum Nürnberg getroffen. Getestet wurde praxisnah im Kontext klinischer Triage auf der Intensivstation – mit dabei waren neben ärztlichem und pflegerischen Personal aus Notaufnahme und OP auch Dr. Serge Röhrig und Henry Schmidt vom Projektträger, der VDI Technologiezentrum GmbH, sowie Dr. Mustafa Soy, Geschäftsführer der nVista technologies GmbH. „Es ist klar, dass der vorliegende Prototyp noch nicht das Ende unseres Weges darstellt“, fasst Tim Loose zusammen. „Wir freuen uns über das konstruktive Feedback der Anwenderinnen und Anwender. Damit können wir hervorragend weiterarbeiten. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein.“
Auch Dr. Popp zieht ein positives Fazit. „Es ist mir und meinem Team eine persönliche Freude, dieses schon jetzt sehr gelungene Projekt vorstellen und proben zu können. Des Weiteren freuen wir uns, dass die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens offenkundig wurde. Wir befinden uns aktuell in der Antragsphase für eine Anschlussförderung, damit wir den Prototypen zusammen mit unseren Konsortialpartnern weiter verfeinern können.“
Julia Peter Unternehmenskommunikation
Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Standort Nürnberg