Gesund rein, sicher wieder raus
Team Atemschutzunfaelle.eu begrüßt 300 Menschen in Halle (Saale)
Halle (Saale). Volles Haus im Volkspark Halle für mehr Sicherheit im Atemschutzeinsatz der Feuerwehren. Rund 300 Gäste aus fast der ganzen Bundesrepublik sowie angrenzenden Ländern verfolgten am 11. März im altehrwürdigen Veranstaltungshaus der Saalestadt die inzwischen achte Auflage des „LIVE“ Kongresses der internationalen Informations- und Trainingsplattform Atemschutzunfaelle.eu. Nach vierjähriger Pause hatte das Team um Gründer und Veranstalter Björn Lüssenheide exzellente und hochkarätige Sprecher aus Deutschland, Luxemburg und der Schweiz nach Halle geladen.
Im Rahmen eines gut achtstündigen Programms präsentierten die Referenten dem Fachpublikum aus Feuerwehren und Katastrophenschutz inspirierende Vorträge rund um die Frage, wie sich Atemschutzeinsätze sicher koordinieren und wie sich Einsatzunfälle vermeiden lassen beziehungsweise, wie sich die gesundheitliche Einsatztauglichkeit von Rettungskräften präventiv feststellen und verbessern lässt. Parallel präsentierten sich zudem 25 Dienstleister, Fachhändler und Hersteller mit ihren Angeboten rund um sichere Feuerwehr- und Atemschutzeinsätze. Die Konferenzpausen boten nicht bloß Gelegenheit, mit den Ausstellern in Kontakt zu treten, sondern auch den zahlreichen Gästen die Chance, die Veranstaltung zur Netzwerkpflege zu nutzen.
Den ebenso treffenden wie berührenden Einstieg ins Konferenzprogramm lieferte der Vortrag von zwei Einsatzkräften der Feuerwehr Neuss in Nordrhein-Westfalen. René Königstein leistet dort wieder seinen Dienst als Berufsfeuerwehrmann – Dank der Rettung durch seine Kollegen! Denn 2017 verunglückte er als Angriffstruppführer mit einem Kollegen bei einem Einsatz im Brandraum eines Kellers. Beide überlebten den Unfall nur knapp und kehrten nach langer Reha inzwischen in den Alltag zurück. In Halle sprach Königstein bemerkenswert offen über seinen Dienstunfall, seine Rettung, seinen Überlebenswillen. Begleitet wurde er auf der Bühne von Michael van Kempen, einer der Führungskräfte in der Brandnacht, der den Einsatzablauf und die Lehren sehr transparent schilderte, die die Feuerwehr Neuss im Nachgang des Unfalls gezogen hat. Der offene und persönliche Vortrag der beiden Einsatzbeteiligten war ein erster inhaltlicher Höhepunkt der Veranstaltung und die perfekte Sensibilisierung des Publikums für die folgenden Vorträge.
Wie sich die Arbeit der Rettungskräfte durch einen derart offenen und lernbereiten Umgang mit kritischen Ereignissen im Einsatz sicherer gestalten lässt, präsentierte im Anschluss Paul Schroeder, langjähriger Mitstreiter bei Atemschutzunfaelle.eu und mittlerweile Generaldirektor des Großherzoglichen Feuerwehr- und Rettungsdienst Korps (CGDIS) in Luxemburg. Schroeder hat maßgeblich an der Neuorganisation der Feuerwehr- und Rettungsdienststrukturen im Nachbarland 2018 mitgewirkt und unter anderem auch strukturierte Unfalluntersuchungen im Gesetz aufnehmen lassen. In deren Rahmen analysierte auch Atemschutzunfaelle.eu als Dienstleister zwei kritische Ereignisse im Übungs- und Einsatzgeschehen. Die umfangreichen Reporte von Dr.-Ing. Adrian Ridder und Björn Lüssenheide folgten auf einer thermischen Verletzung eines Übenden in der Realbrandausbildung sowie einer Kreislaufproblematik bei einem stark fordernden Dachstuhlbrand. Mittlerweile führt die zuständige Direktion, als Teil der lernenden Organisation CGDIS, eigenständige Untersuchungen durch. Ein gutes Beispiel für Deutschland? Ja!
Der Notfallmediziner und langjährige Feuerwehrmann Frank Eisenblätter nahm die vorgestellten Vorfälle in seinem Vortrag zum Anlass, einen kritischen Blick auf die Eignungsuntersuchung für Atemschutzgeräteträger zu werfen, und auf die Frage, ob dieser regelmäßige Gesundheitscheck tatsächlich ein verlässliches Kriterium für die Einsatztauglichkeit von Feuerwehrkräften liefert. Eisenblätter, der sich auch in der Initiative FeuerKrebs gegen Krebserkrankungen im Feuerwehrdienst engagiert, warb ausdrücklich für regelmäßiges Training des Herzmuskels. Ein trainiertes Herz sei essenziell wichtig für den sicheren Atemschutzeinsatz, betonte er und forderte daher: „Die Eignungsuntersuchung als „Feuerwehr-TÜV“ muss möglichst streng und gewissenhaft durchgeführt werden“. Fazit des Experten: Ärztliche Untersuchungen müssen die Probanden im medizinisch kontrollierten Rahmen bis an die Leistungsgrenze fordern, damit die Kräfte auch im Einsatzgeschehen nicht überlastet sind! Übungen sollten daher ebenfalls so gestaltet sein, forderte der Notfallmediziner, dass die Atemschutzgeräteträger an die Grenze ihrer Ausdauer gelangten!
Wie sich das gesunde Herz trainieren lässt, dazu referierte der Stuttgarter Berufsfeuerwehrmann und Atemschutzunfaelle.eu-Trainer Severin Frank. Er wirbt als engagierter Athlet für die funktionale Fitness bei der Feuerwehr. Mit einfachen Mitteln könnten haupt- und ehrenamtliche Kräfte auch im einfachsten Feuerwehrhaus Fitnessparcours realisieren, um Kraft und Ausdauer zu trainieren. Wie (über-) lebenswichtig solch eine Fitness sein kann, hatte bereits der Vortrag von René Königstein eindrucksvoll belegt. Dieser hatte berichtet, dass die Rettung vor allem aufgrund der Stärke und Ausdauer des Sicherheitstrupps möglich war. Gut vorbereitet in den Einsatz, sicher wieder heraus – der rote Faden der ganzen Konferenz zeigte sich auch an dieser Stelle überdeutlich.
Wie sich Einsatzkräfte gegen körperliche Belastungen stählen können, war nur ein Aspekt der Präsentationen. Und wie steht’s um die mentale Fitness? „Stehe still und sammle Dich“, der Merkspruch ist im Feuerwehrwesen etabliert. Aber wie genau gelingt das rasch und wirksam? Eine außergewöhnliche Möglichkeit, den Fokus zu trainieren, um auch in extremen Situationen handlungs- und fokussierungsfähig zu bleiben, bietet das in Frankreich entwickelte Pafari-Training. Was zunächst nur aussieht wie eine große Holzbox zum Durchkriechen ist im praktischen Einsatz ein ausgeklügeltes Ausbildungskonzept rund um das Stressmanagement.
Welche Rolle dabei eine große Holzbox spielt, von Absolventen des Trainings auch gerne „Das Biest“ genannt, erläuterte der Zürcher Berufsfeuerwehrmann, Redakteur für Atemschutzunfaelle.eu und Pafari-Trainer Jonas Kohler. Er hat sich, gemeinsam mit anderen Kräften von Schutz & Rettung Zürich als Ausbilder für das außergewöhnliche Konzept qualifizieren lassen und bietet mit diesen nun Pafari-Trainings an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe in Zürich an. Wie die Workshops ablaufen, warum sie den Fokus auf die einzelne Einsatzkraft und nicht auf Wettbewerbsgedanken legen und auch, wie die Coaches bei den Teilnehmenden körperlichen und mentalen Stress erzeugen, stellte Kohler auch im Dialog mit dem Moderator der Konferenz vor. Thomas Kuhn, hauptberuflich Journalist und langjähriger Feuerwehrmann hatte, wenige Wochen vor dem Live-Kongress, gemeinsam mit Trainern von Atemschutzunfaelle.eu, an einem Pafari-Training in Zürich teilgenommen. Im Gespräch mit Kohler beschrieb er seine Triggerpunkte und seine Erfahrungen, energie- und atemluftsparend Wege durch die Box zu finden. Mit Erinnerungen an verschiedene „Hängepartien“ und zahlreichen blauen Flecken weckte er beim Publikum weiteres Interesse am Mentaltraining in Zürich.
Jeder Atemschutzgeräteträger muss körperlich und mental bestmöglich vorbereitet sein, benötigt aber auch ein fundiertes Fachwissen, um seine Werkzeuge zur richtigen Zeit am richtigen Ort angemessen einzusetzen. In einem sehr lebendigen Vortrag, nicht weit weg von einer guten Büttenrede, bot der Rheinländer Guido Volkmar Impulse. Besser gesagt einen Impuls, den Fensterimpuls. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Realbrandausbildung im Land NRW lenkte der den Blick auf die Taktik “Brandbekämpfung zur Menschenrettung”. Auf Basis US-amerikanischer Erkenntnisse hat die Arbeitsgruppe eine Fachempfehlung und Begleitmaterial erarbeitet, mit deren Hilfe Ausbilder die Taktik problemlos in unterschiedliche Lehrgangsformate integrieren können. Alle Informationen zum Konzept und dem darin beschriebenen Vorgehen – weit über den vieldiskutierten Fensterimpuls hinaus – finden sich online im digitalen Lernkompass des Instituts der Feuerwehren NRW.
Wie Guido Volkmar ist auch Lars Seeger, der letzte Referent des Konferenztages, als Trainer im Team Atemschutzunfaelle.eu aktiv. Seeger bringt sowohl in den Trainings als auch in seinem Vortrag Erfahrungen aus seinen Tätigkeiten bei der Berufsfeuerwehr Hamburg ein. Thema seines Vortrags in Halle: „Wie überlebe ich meinen Atemschutznotfall?“. Die Frage muss sich jeder Atemschutzgeräteträger regelmäßig stellen. Was mache ich, wenn ich keine Luft mehr bekomme oder der Partner nicht mehr auffindbar ist? Gerade mit letzterem Szenario waren auch die Neusser Einsatzkräfte im Brandkeller konfrontiert. Seeger stellte nicht bloß die Frage, sondern bot auch Antworten und Denkanstöße. Vor allem plädierte er dafür, den Gedanken schon vorab Freiraum zu geben und sich nicht durch Denkbarrieren einschränken zu lassen. Das Ziel der (Selbst-) Rettung zähle, egal wie der Weg aussehe. Mit den Worten des Survivalexperten Bear Grylls, ehemaliger Soldat einer britischen Spezialeinheit, schloss Seeger den Bogen zum schweren Atemschutzunfall in Neuss: „Wir müssen alles tun, was notwendig ist, um durchzuhalten und zu überleben!“
Wichtige und hilfreiche Anstöße für all diese Überlegungen liefern auch Analysen zu den zahlreichen kritischen Ereignissen, die in der Unfalldatenbank Atemschutzunfaelle.eu erfasst sind. Trotz der Vielzahl der dort abrufbaren Berichte, betonte Kongressorganisator und Projektgründer Björn Lüssenheide, gebe es eine viel zu hohe Dunkelziffer nicht kommunizierter Vorfälle. Er warb eindrücklich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Plattform Atemschutzunfaelle.eu. Über einen Meldebogen könne jedes Ereignis ohne großen Aufwand an die Redaktion übertragen werden. Keine Veröffentlichung, egal ob mit Quellenangabe oder anonymisiert, werde ohne eine vorherige Absprache publiziert.
Nach manchen Gänsehautmomenten, viel Ernsthaftigkeit aber auch der nötigen Portion Spaß im Austausch, endete der achte Kongress am frühen Samstagabend.
Text: Thomas Kuhn, atemschutzunfaeelle.eu
Bilder: Thomas Keck / Thomas Kuhn (beide Team atemschutzunfaelle.eu)